Maria Grünbaum
Diplom-Restauratorin
Zusammenfassung: Ein besonders qualitätvolles Beispiel an spätmittelalterlichen Wandmalereien in Freiburg und Umgebung bietet die Kirche St. Michael in Niederrotweil. Der aus der Mitte des 14. Jahrhunderts stammende Bilderzyklus zeigt Szenen der Vita Christi in Form einer umlaufenden Registermalerei. Den Chor schmücken Christus und die vier Evangelisten sowie eine Darstellung des Kirchenpatrons Michael im Kampf gegen den Drachen. Besondere motivgeschichtliche Merkmale stellen außerdem die stilisierte Quaderung der Chorbogenwand und die gemalten Maßwerkelemente des Langhauses dar. Die Wandmalereien im Chor wurden zu Beginn des 20. Jahrhunderts, jene im Langhaus in den 1950er Jahren freigelegt und restauriert. 1997 erfolgte eine weitere umfangreiche Konservierungs- und Restaurierungsmaßnahme, im Zuge derer wichtige Hinweise zur Entstehung der Malereien und der Maltechnik gewonnen werden konnten. Darüber hinaus wurden auch die jüngeren Gestaltungen im Innern der Kirche untersucht. Hierzu zählen überlebensgroße Gewandfiguren sowie Reste einer Grisaillemalerei. 2010 erfolgte eine umfassende kunsthistorische Untersuchung mit einer Einordnung der spätgotischen Malereien hinsichtlich ihrer typen-, motiv- und stilgeschichtlichen Bedeutung. Hierbei wurden nicht nur die umliegenden Kapellen am Kaiserstuhl wie Bötzingen und Ihringen-Wasenweiler sondern auch Beispiele aus dem Thurgau und dem angrenzenden Schwarzwald zu Vergleichen herangezogen. Auch Themen der Buchmalerei wurden in die Untersuchung mit aufgenommen. Auf Basis der restauratorischen Untersuchung der Gestaltungsabfolgen wurden im Zuge dessen auch die jüngeren Gestaltungsphasen kunsthistorisch beleuchtet.
L’église paroissiale Saint-Michel à Vogtsburg Niederrotweil [Allemagne, Bade-Wurtemberg] et ses peintures murales
Résumé : L’église Saint-Michel de Niederrotweil offre un exemple particulièrement remarquable de peintures murales du Moyen Âge tardif dans la région de Fribourg. Le cycle d’images du milieu du xive siècle montre des scènes de la vie du Christ disposées dans un long registre peint. Dans le chœur prennent place le Christ et les quatre évangélistes ainsi qu’un saint Michel, patron de l’église, combattant le dragon. Par ailleurs, le faux appareil stylisé de l’arc triomphal et les remplages feints de la nef représentent des caractéristiques particulières pour l’histoire des motifs décoratifs. Les peintures murales du chœur ont été dégagées et restaurées au début du xxe siècle, celles de la nef dans les années 1950. En 1997 eut lieu une autre importante opération de conservation-restauration, lors de laquelle de précieuses informations concernant la réalisation des peintures et leur technique picturale ont pu être acquises. De plus, les recherches portaient aussi sur les décors plus récents à l’intérieur de l’église. Les figures drapées plus grandes que nature et les restes d’une peinture en grisaille en font partie. En 2010 fut réalisée une vaste étude d’histoire de l’art visant à cerner l’importance typologique, décorative et stylistique de ces peintures du gothique tardif. Des comparaisons ont alors été établies non seulement avec des chapelles environnantes près du Kaiserstuhl, comme Bötzingen et Ihringen-Wasenweiler, mais aussi avec des sites du Thurgau et de le Forêt Noir voisine. Des comparaisons iconographiques avec l’enluminure ont pu être également intégrées dans cette recherche. Sur la base de l’analyse des restaurations des décors successifs, cette étude s’est également intéressée aux campagnes de décoration plus récentes.
1 Einleitung
Die Pfarrkirche St. Michael zählt zu den ältesten Sakralbauten im Breisgau. Ihre Bedeutung verdankt sie vor allem dem geschnitzten Hochaltar, dessen Ausführung in der Forschung immer wieder mit dem Meister HL in Verbindung gebracht wurde.[1] Den Wandmalereien wurde hingegen deutlich weniger wissenschaftliches Interesse geschenkt, sieht man von umfangreichen Konservierungs- und Restaurierungsmaßnahmen ab.[2] Dies ist angesichts des nahezu unverfälschten Erhaltungszustands der Malereien kaum nachvollziehbar, sind doch gerade Beispiele dieser Gattung durch Freilegungen und Übermalungen häufig so entstellt, dass das ursprüngliche Erscheinungsbild kaum mehr zu erahnen ist und demzufolge auch stilkritische Analysen nur bedingt möglich. Mit diesem Beitrag soll deshalb das Augenmerk auf ein besonderes Beispiel gotischer Wandmalereien im ländlichen Raum gelegt werden.
2 Lage und Objekt
Niederrotweil liegt am westlichen Fuße des Kaiserstuhls auf einer leichten Anhöhe. Die Kirche steht auf ebenmäßigem Terrain und wird auf allen vier Seiten von einem alten Friedhof umgeben.
Es handelt sich um eine zweischiffige Hallenkirche, die aus einem Haupt- und einem nördlich angefügten Seitenschiff besteht (Abb. 1). Die Ostapsis besitzt einen halbrunden Abschluss, der im Innern nachträglich zu einem Polygon verändert wurde.
Die Trennung der Schiffe erfolgt über drei flache Spitzbogenarkaden. In der darüber liegenden Hochschiffwand sitzt ein Rundbogenfenster, welches sich zum Dachstuhl des Seitenschiffs öffnet.
3 Baugeschichte
Romanik
Die Kirche besitzt einen romanischen Kernbau aus dem 12. Jahrhundert.[3] Die ehemalige Apsis ist im Dachstuhl der Kirche noch erkennbar und sogar der romanische Putz hat sich hier erhalten. Ebenso der Bogen eines ehemaligen Apsisfensters ähnlich dem, welches heute noch im Langhaus zu sehen ist. Polychrome Fragmente weisen darauf hin, dass die Kirche bereits in romanischer Zeit figürlich ausgemalt war.
Insgesamt sind drei große Umbaumaßnahmen nachweislich, die jeweils eine neue Raumgestaltung zur Folge hatten.
Gotik
Die erste gravierende Umbaumaßnahme vollzog sich mit dem Einbau des gotischen Rippengewölbes im Chor. Das eingezogene Gewölbe kam dabei tiefer zu liegen als die romanische Decke. Das Halbrund der Apsis ist vom Dachraum her noch gut erkennbar und hat sich samt Innenputz erhalten. Die unteren Wandflächen der Apsis wurden neu verputzt, um einen annähernden 5/8el Abschluss herzustellen.
Auch das gesamte Kirchenschiff wurde neu verputzt und hierdurch ein Träger für ein neues Bildprogramm geschaffen. Der Großteil des heute sichtbaren Bestands an Wandmalereien der Kirche ist dieser Gestaltungsphase zuzuordnen. Während der Chor die vier Evangelisten, mehrere Apostel und Heilige zeigt, sah die Gestaltung des Langhauses eine Registermalerei vor, deren Leserichtung von Südosten über die Westwand nach Nordosten verlief (Abb. 2). Datiert sind die Maßnahmen nur grob in die 1. Hälfte des 14. Jahrhunderts.[4]
Renaissance
Den nächsten wichtigen Eingriff stellt der Anbau des Seitenschiffs dar. Zur dessen Verbindung wurden Arkaden in die Hochschiffwand eingebrochen. Auch in diesem Zuge erfolgte eine Neuausgestaltung der Kirche, von der sich noch Reste großfiguriger Apostel und Teile einer Grisaillemalerei erhalten haben (Abb. 3). Sie können grob zwischen 1500 und dem 30jährigen Krieg datiert werden.[5]
Barock
Die jüngste Umbaumaßnahme setzte dann mit dem 18. Jahrhundert ein und verlieh dem Kircheninneren ein völlig neues Erscheinungsbild. Das romanische Fenster wurde zugemauert und die gesamten Flächen wurden mit einer Putzschicht überdeckt.
4 Restaurierungsgeschichte
1908 wurden die Malereien im Chor entdeckt und freigelegt. Etwa 40 Jahre später (1949-1952) erfolgte dann eine umfassende Restaurierungsmaßnahme, im Zuge dessen einige Übermalungen vorgenommen wurden.[6]
1960 erfolgte die Freilegung der Wandmalereien im Langhaus. Das fehlende Verständnis für die unterschiedlichen Malschichten führte dazu, dass sich dem Betrachter heute ein sehr inhomogenes Erscheinungsbild unterschiedlicher Zeitschichten bietet (Abb. 2 und 3).
1994 wurden die Fresken im Chor und der Hochaltar eingängig auf Bestand und Schäden untersucht. Zwei Jahre später konnte ein umfassendes Konservierungskonzept vorgelegt werden.[7]
Die Wandmalereien im Kirchenschiff wurden im Sommer 1999 restauriert und konserviert. Im Zuge dieser Maßnahmen wurde auch das kleine romanische Fenster in der Nordwand des Mittelschiffs wieder geöffnet.[8]
5 Die Wandmalereien im Langhaus
5.1 Registermalerei
Das gotische Bildprogramm sah die Einteilung der Wand in fünf horizontale Bänder vor: die unteren zwei bilden eine dekorative Sockelzone. Darauf folgte ein Register mit Szenen aus dem Alten Testament, darüber eines mit Szenen aus dem Neuen Testament. Die obere Zone zeigte eine illusionistische Quaderbemalung.
Zeitgenössische Vergleichsbeispiele für das Dekorationssystem in Niederrotweil sind vor allem im ländlichen Raum zu finden. Die dort vorhandenen, zusammenhängenden Wandflächen boten Platz für die komplexen, narrativen Bildprogramme. Bei den herangezogenen Beispielen zum Ausmalungssystem in Niederrotweil handelt es sich daher zum größten Teil um Saalkirchen, die sich geographisch auf den Hochrhein, das Bodenseegebiet, den nördlichen und südlichen Schwarzwald konzentrieren.
Die Besonderheit der Malereien in Niederrotweil besteht in dem durchlaufenden Erzählband. Die Darstellungen laufen kompositorisch durch d.h. es gibt keine trennenden Vertikalbänder zur Unterteilung der Szenen. Unterstrichen wird dies durch den einheitlichen blauen Hintergrund.
Als Vergleiche können die zwischen 1320 und 1330 entstandenen Wandmalereien der St. Remigiuskirche in Nagold im nördlichen Schwarzwald herangezogen werden.[9] Sie zeigen eine Einteilung in drei Register, die jedoch unterschiedlich untergliedert sind. Das Register mit den Szenen aus der Kindesgeschichte Jesu ist wie in Niederrotweil als ein zusammenhängendes Erzählband vor blauem Hintergrund angelegt. Wie dort erfährt der Betrachter die Bildgrenze durch die abgewendeten Figuren, die sich jeweils auf die Mitte des Geschehens konzentrieren oder trennende Bildelemente wie die keulenförmigen Bäume.
Dagegen zeigt die Galluskirche in Oberstammheim eine Kombination aus streng getrennten und durchlaufenden Bildfeldern.[10] Die Szenen der Schöpfungsgeschichte im oberen Register sind zu einem Erzählstrang zusammengefügt. Das mittlere Register zeigte eine Unterteilung mittels Architekturelemente, während das untere Register durch Balken geometrisch in gleich große Felder parzelliert ist. Dies führt zu einer Betonung der einzelnen Passionsszenen im Sinne einer Aneinanderreihung ähnlich wie bei Kreuzwegstationen.
5.2 Ikonographie
Geburt
Das neutestamentliche Register beginnt heute mit der Geburt, von der jedoch nur die Figur des Josephs vollständig erhalten ist.[11]
Die im linken unteren Bildfeld zu erkennende Figur deutet auf eine Darstellung der im Wochenbett liegenden Maria, ein Motiv, welches bereits für das Ende des 10. Jahrhunderts nachweisbar ist und ursprünglich auf byzantinische Darstellungen zurückgeht.[12]
Hirtenverkündigung
Die nachfolgende Hirtenverkündigung grenzt sich kompositionell fast nicht von der Geburtenszene ab (Abb. 4). Die Ziegen und Bäume sind dicht über die Fläche verteilt ohne einen kompositorischen Schwerpunkt der Szene festzulegen.
Die sitzende Hirtenfigur in Niederrotweil gleicht in der Haltung einer Hirtendarstellung in einer Illustration der Weltchronik des Rudolf von Ems in der Kantonsbibliothek, die in die ersten Jahrzehnte des 14. Jahrhunderts datiert wird und deren Entstehung im Bodenseeraum lokalisiert wird.[13] Das Beispiel zeigt ebenfalls eine Verkündigungsszene. Beide Hirtenfiguren sind sitzend und mit übereinander geschlagenen Beinen dargestellt. Die Linke ist in beiden Fällen erhoben, während die Rechte unterschiedliche Gesten ausführt. Eine weitere vergleichbare Darstellung findet sich in der Kapelle St. Afra in Schelklingen.[14]
An dieser Stelle bricht das Erzählband ab. Die folgenden Szenen sind unter der barocken Putzschicht verborgen. Sondagen zeigten, dass sich auf den Langhauswänden mehr erhalten hat als die jetzt freigelegten Bildfelder.[15]
Abendmahl
An der Westwand befindet sich ein Bildfeld, welches die Oberkörper von sechs Heiligen unter einer Spitzbogenarchitektur zeigt (Abb. 5). Am linken Bildrand ist der Teil des Kreuznimbus Christi zu erkennen ist. Analog sind zu seiner Linken vermutlich sechs weitere Figuren zu ergänzen und es spricht alles dafür, dass es sich hierbei um die Darstellung des Abendmahls handelt.
Während die Köpfe der vorderen Reihe alle unterschiedlich gestaltet sind, zeigt sich die hintere Reihe sehr vereinheitlicht, ein Phänomen, welches auch in der St. Gallener Weltchronik auftritt.[16]
Die folgenden Szenen sind wieder von dem jüngeren Putz überdeckt. An das Abendmahl ließen sich die Szenen Gebet am Ölberg, der Verrat und die Gefangennahme und der Judaskuss als Einleitung der Passionsgeschichte anschließen. Letztere fehlt bei Passionszyklen im Mittelalter fast nie.[17]
Auf der Nordwand ist erst wieder die Kreuzigung zu sehen.
Kreuzigung
Diese stellt die größte nachweisbare Szene dar. Sie besteht aus insgesamt sechs Figuren.
Die Vergleichsbeispiele des 14. Jahrhunderts zeigen in der Figurenkonstellation erhebliche Unterschiede. So ist die Kreuzigung des Psalters aus dem Dominikanerkloster St. Marx in Straßburg mit neun Figuren gebildet. Die Kerngruppe aus Christus, Maria und Johannes weist jedoch einige Übereinstimmungen auf. Die Figur des Johannes hat ebenfalls den Kopf gesenkt und hält seine Rechte an die Wange. In Niederrotweil befindet sich genau in diesem Bereich eine Fehlstelle, sodass die Handhaltung strittig bleibt. Maria hat ihre erhobenen Hände wie in Niederrotweil gefaltet. Darüber hinaus zeigt auch die Wiedergabe der Christusfigur mit den runden Konturen im Brustbereich Gemeinsamkeiten auf.
Auch die Glasmalereien des Freiburger Münsters können zu einem Vergleich herangezogen werden. Die Kreuzigung aus dem Thron-Salomonis-Fenster an der Langhausnordseite, welche um 1330 datiert wird zeigt einen Gekreuzigten, der unserem in Niederrotweil abgesehen von der Handhaltung sehr nahe steht.[18] Hierfür sprechen die dünnen, sehnigen Arme, der stark akzentuierte Brustkorb und der leicht gesenkte Kopf. Zur Rechten Christi steht Maria, die ihre Hände ebenfalls erhoben hält. Sie blickt zu Johannes, dessen Haltung wiederum mit der Darstellung im Straßburger Psalter vergleichbar ist.
Ähnlich wie bei der Hirtendarstellung ist auch zwischen Kreuzigung und Kreuzabnahme kompositorisch eine gelungene Überleitung zwischen den Szenen geschaffen worden: Ein kleiner Teufel nimmt die ausgehauchte Seele des bösen Schächers in Empfang; er sitzt bereits auf dem Kreuzbalken der nächsten Szene.
Kreuzabnahme
Zur nachfolgenden Kreuzabnahme lässt sich als Vergleich ein Beispiel der Tafelmalerei anführen: das kleine Täfelchen aus dem Kunsthaus in Zürich diente vermutlich der privaten Andacht und ist um 1320 in Zürich oder Konstanz entstanden.[19] Die intimen Gesten von Joseph und Maria sowie die Darstellung des Johannes weisen große Ähnlichkeiten auf. Möglicherweise ist im Bereich der Fehlstelle eine kniende Figur wie auf dem Täfelchen zu ergänzen.
Die folgenden Szenen sind größtenteils zerstört. Anhand der vorhandenen Fragmente und im Hinblick auf die Folge der biblischen Erzählung können die Darstellung der 3 Frauen am Grab, Noli me tangere und Christus vor dem Eingang des Höllenschlunds rekonstruiert werden. An dieser Stelle endet das Erzählband; die darauf folgenden Szenen sind wieder von der barocken Putzschicht überdeckt.
6 Maltechnik
Während die Malereien im Chor im Zuge der Restaurierungsmaßnahme Mitte des 20. Jahrhunderts großflächig übermalt wurden und von ihrem ursprünglichen Bestand nicht mehr viel ablesbar ist, lässt sich an den Malereien im Langhaus viel zur Herstellungstechnik ableiten.
Der heutige Zustand der Malereien entspricht dabei sicherlich nicht der ursprünglichen Erscheinung. Die Darstellungen werden von einer roten Umrisslinie auf blauem Grund dominiert. Die Binnenzeichnung ist wesentlich schlechter erhalten. Der erstaunlich gute Erhaltungszustand der Konturlinie spricht für einen freskalen Auftrag. Für den Hintergrund ist durch mehrere Untersuchungen Azurit nachgewiesen worden.[20] Die Anlage der Binnenflächen wie beispielsweise Muskelpartien oder auch Inschriften erfolgte al secco.
Zu beobachten und als besondere Qualität der Ausführung festzuhalten ist darüber hinaus, wie schwungvoll und sicher die Konturen der einzelnen Körperteile angelegt sind. Arme und Beine sind mit wenigen Strichen in die jeweiligen Glieder unterteilt. Zum Teil sind die Konturverläufe ganzer Figuren in einer Linie gezogen, was von einer sehr hohen Kunstfertigkeit zeugt.
Alle Figuren zeigen den gleichen Typus schlanker und biegsamer Körper (Abb. 5). Die Frisuren sind in engen Locken kappenartig um das Gesicht gelegt oder fallen in Wellen die Schultern herunter. Die Frisuren der Männer sind kinnlang und locken sich oberhalb der Brauen in kleinen Schnecken kappenartig herunter. Die Stirn ist dabei stets frei gehalten.
Für die Wiedergabe der Augen kann ein regelrechter Kanon festgestellt werden. Sie bestehen aus einem geraden Unterlid und zwei Kurven, die das Oberlid und die Braue wiedergeben. In den meisten Fällen schwingt das Oberlid mandelförmig nach außen hin ein und lässt das Lidende offen stehen. Dazu steht ein kleiner zierlicher Mund, bestehend aus der Linie zwischen Ober- und Unterlippe sowie einer Schattenlinie oberhalb des Kinns.
Diese Typisierung der Gesichter ist typisch für die Entstehungszeit der Wandmalereien und kann mit verschiedensten Werken, auch anderer Gattungen verglichen werden.
Unter den Werken der Buchmalerei ist der Codex Manesse in dieser Hinsicht besonders aufschlussreich. Trotz der in vielen Fällen nachweisbaren Identität der abgebildeten Figuren des Codex handelt es sich weniger um Porträts als um die Darstellung von Typen. Die Ausbildung der Augen und der Haare offenbaren deutliche Ähnlichkeiten mit den Malereien in Niederrotweil. Und auch in der Glasmalerei sind einige Parallelen anzutreffen (Abb. 6).
7 Zusammenfassung
Im Gesamtbild der Vergleiche zeigt sich ein überregionaler, gattungsübergreifender und in gemeinsamer Tradition stehender Gestaltungswille, der sich in der Wiedergabe der Figuren, ihrer Anordnung und in der Thematik der Darstellungen niederschlägt.
Die angeführten Beispiele lassen sich hauptsächlich in die Regionen Oberrhein, Hochrhein und Bodenseeraum lokalisieren. Darüber hinaus konnten auch Vergleiche zu Werken im schwäbischen Raum und dem Hochschwarzwald herangezogen werden.
Ein Blick auf die kunstgeschichtliche Forschung macht deutlich, dass die Untersuchung nach einer Einheit dieser Regionen häufiger Gegenstand wissenschaftlicher Forschungsarbeit war.[21] Das Phänomen wurde mit dem weit gefassten Begriff „Kunstlandschaft“[22] oder „Kommunikationslandschaft“[23] beschrieben.
Schon vor 1300 ist trotz aller territorialer Zersplitterung im Bodenseeraum von einer „sozial, kulturell und politisch relativ homogenen Region“[24] zu sprechen. Zur Stabilität trugen vor allem die vielen Städtebündnisse bei, die nicht nur den politischen Frieden, sondern auch die Handelswege sicherten.
Die Ursprünge dieser „Kunstlandschaft“ sind vor allem in Frankreich bzw. in der französischen Hochgotik zu finden.[25] Die Verbreitung erfolgte durch zugewanderte Dominikaner- und Zisterziensermönche sowie durch die Bauhütten der großen Kirchen wie Straßburg und Köln. Die gattungsübergreifende Beeinflussung, vornehmlich ausgehend von der Buchmalerei, war Gegenstand zahlreicher kunstwissenschaftlicher Untersuchungen.[26]
Doch im Laufe meiner Beschäftigung mit den Niederrotweiler Malereien nicht nur aus kunsthistorischer Sicht, sondern auch mit einem restauratorischen Auge ist mir gerade beim Vergleich mit anderen Werken der Wandmalerei mehr und mehr eines klar geworden: Die besondere Qualität der Malereien liegt gerade in ihrem unverfälschten Erhaltungszustand. Diesen Umstand verdanken sie nicht nur einer vergleichsweise behutsamen Freilegung, sondern vor allem auch einer zurückhaltenden, unverfälschenden Präsentation. Die qualitätvoll ausgeführten Retuschen ordnen sich dem Gesamtbild unter und bleiben dennoch ablesbar.[27]
Viele andere Beispiele an gotischer Wandmalerei sind durch Übermalungen und Retuschen so entstellt, dass motiv- und stilgeschichtlichen Vergleiche nur bedingt möglich sind. Gerade also durch ihre Unverfälschtheit leisten die Malereien von Niederrotweil einen wichtigen Beitrag zum Verständnis der Qualität gotischer Wandmalereien im ländlichen Raum.
Dass bei den vergangenen Konservierungsarbeiten keine weiteren Szenen freigelegt werden, ist dabei nur zu begrüßen. Denn dieser Zustand garantiert den langfristigen Erhalt der Malereien. Und trotz der Neugier, die einen quält, denn man vermag zu erahnen, was sich unter der Putzschicht noch alles erhalten hat, gewinnt man gerade durch die Vergleiche mit zeitgenössischen Werken vor allem der Buch- und der Glasmalerei, aber auch der Wandmalerei und Kleinkunst eine Vorstellung, wie der Bilderzyklus in Niederrotweil zu vervollständigen ist. Und die Liste des vergleichbaren Materials ließe sich problemlos weiter fortsetzen.
[1] Ingeborg SCHROTH (1971), « Der Schnitzaltar in Niederrotweil a.K. », Jahrbuch der Staatlichen Kunst-sammlungen in Baden-Württemberg, 8, 1971, S. 65-96; Herbert SCHINDLER, Der Meister HL = Hans Loy? Werk und Wiederentdeckung, Königstein im Taunus, 1981; Hermann BROMMER, Katholische Kirche St. Michael in Vogtsburg-Niederrotweil, Lindenberg, Kunstverlag Fink, 2003.
[2] Peter VOLKMER u. a., Bericht zur Konservierung und Restaurierung der Wandmalereien im Chor der St. Michaelskirche in Niederrotweil, Landkreis Breisgau Hochschwarzwald, April-November 1997 (unveröffentlichter Bericht, LAD Freiburg); Peter VOLKMER, Niederrotweil, Kirche St. Michael. Konservierung und Restaurierung der Wandmalereien im Langhaus, Nov. 2005 (unveröffentlichter Bericht, LAD Freiburg).
[3] Stefan KING, Vogtsburg-Niederrotweil, St. Michael. Bauhistorische Kurzuntersuchung und dendrochronologische Altersbestimmung, November 2001 (unveröffentlicht), S. 1; Maria MATISSEK, Die Wandmalereien der Pfarrkirche St. Michael in Vogtsburg-Niederrotweil, Magisterarbeit unter der Leitung von Prof. Dr. Stopfel, Albert-Ludwig-Universität, Freiburg, 2010-2011, S. 17-22; 41f.
[4] MATISSEK , op. cit., 2010-2011, S. 42-47.
[5] KING, op. cit., 2001, S. 8; MATISSEK, op. cit., 2010/11, S. 47f.; Hermann BROMMER, « Die Barockisierung der Niederrotweiler St. Michaelskirche. Ein Beitrag zur Baugeschichte der ältesten Kirche im Kaiserstuhl », Zeitschrift des Breisgau-Geschichtsvereins „Schau-ins-Land“ (Sonderdruck), 101, 1982, S. 227.
[6] Manfred A. KNITTEL, Bericht über die Ergebnisse der Instandsetzung an den Chormalereien der St. Michaelskirche in Niederrotweil am Kaiserstuhl. Zur Baugeschichte Niederrotweils, Freiburg, 1952.
[7] VOLKMER u.a., op. cit., 1997; Ewald RÄPPLE, Die Restaurierung des Hochaltars und der Malereien in St. Michael in Niederrotweil, Kath. Pfarramt St. Johannes Vogtsburg-Oberrotweil (Hrsg.) 1997, S. 13, 29.
[8] VOLKMER, op. cit., 2005, S. 4.
[9] Volker ROESER, Horst Gottfried RATHKE, « St. Remigius in Nagold », Forschungen und Berichte der Archä-ologie des Mittelalters in Baden-Württemberg, 9, 1986, S. 151, Abb. 126; Jürgen MICHLER, Gotische Wandmalerei am Bodensee, Friedrichshafen, Verlag Robert Gessler, 1992, S. 50, 188.
[10] Datiert in die ersten Jahrzehnte des 14. Jahrhunderts; michler, op. cit., 1992, S. 38, 189.
[11] Da die Erzählweise von Südosten beginnt, ist anzunehmen, dass vor der Szene der Geburt noch weitere Szenen vorangestellt sind. Diese sind jedoch nicht freigelegt.
[12] Engelbert Kirschbaum, Wolfgang BRAUNFELS (Hrgb), Lexikon der christlichen Ikonographie, Bd. 2, Rom, Freiburg, Basel, Wien, Herder, 1970, Sp. 109; Bruno KADAUKE, Wandmalereien vom 13. Jahrhundert bis um 1500 in den Regionen Neckar-Alb, Ulm-Biberach und Bodensee-Oberschwaben, Reutlingen, Oertel + Spörer, 1991, S. 31; Markus HÖRSCH, Sankt Afra in Schelklingen. Die Wandmalereien, Biberach/Riss, 2004, S. 22.
[13] St. Gallen, Kantonsbibliothek Vadiana, Ms. 302; Judith Raeber, Buchmalerei in Freiburg im Breisgau. Ein Zisterzienserbrevier aus dem frühen 14. Jahrhundert. Zur Geschichte des Breviers und seiner Illumination, Wiesbaden, Reichert, 2003, S. 129.
[14] HÖRSCH, op. cit., 2004, S. 22-23, Abb. 35, 40; KADAUKE, op. cit., 1991, S. 29.
[15] VOLKMER, op. cit., 2005, S. 9.
[16] St. Gallen Kantonsbibliothek Vadiana, Ms. 302, f. 197v.
[17] Mt 26, 47-49; Mk 14, 43-45; Lk 22,47; KIRSCHBAUM, BRAUNFELS, op. cit., Bd. 3, 1971, Sp. 343.
[18] Rüdiger BECKSMANN, Die mittelalterlichen Glasmalereien in Freiburg im Breisgau. Münster Unserer Lieben Frau, in: H. SCHOLZ (Hrsg.), Corpus Vitrearum Medii Aevi, 2.2, Berlin, Deutscher Verlag für Kunstwissenschaft, 2010, S. 77.
[19] Zürich, Kunsthaus, Inv. Nr. 1954/25, Öl auf Holz; Christian KLEMM, Kunsthaus Zürich. Gesamtkatalog der Gemälde und Skulpturen, Zürich, 2007, S. 24; Gabriela FRITZSCHE, « Ein Retabelfragment des 14. Jahrhunderts im Schweizerischen Landesmuseum in Zürich. Versuch einer Einordnung der sogenannten „Bieler Tafeln“ », Zeitschrift für Schweizerische Archäologie und Kunstgeschichte, 38, 1981, S. 195.
[20] VOLKMER, op. cit., 2005, S. 14 und Anhang: Analyse durch Prof. Dr. Schramm, Dresden.
[21] Lieselotte STAMM, « Zur Verwendung des Begriffs Kunstlandschaft am Beispiel des Oberrheins im 14. und frühen 15. Jahrhundert », Zeitschrift für Schweizerische Archäologie und Kunstgeschichte, 40, 1983; Eva MOSER, « Historische Landschaft und Buchkultur. Der Bodenseeraum im Spätmittelalter », in: E. MOSER (Hrgb), Buchmalerei im Bodenseeraum. 13. bis 16. Jahrhundert, Friedrichshafen, Robert Gessler, 1997, S. 7-22; RAEBER, op. cit., 2003, S. 108-110.
[22] Brigitte KURMANN-SCHWARZ, « Zur Geschichte der Begriffe Kunstlandschaft und Oberrhein », Konstanzer Arbeitskreis für mittelalterliche Geschichte, Historische Landschaft – Kunstlandschaft? Der Oberrhein im späten Mittelalter, 2008, S. 65.
[23] STAMM, op. cit., 1983, S. 85-91.
[24] MOSER, op. cit., 1997, S. 8.
[25] RAEBER, op. cit., 2003, S. 108f.; Jürgen MICHLER, « Gotische Ausmalungssysteme am Bodensee », Jahrbuch der Staatlichen Kunstsammlungen Baden-Württemberg, 23, 1986, S. 32 Anm. 2.
[26] MATISSEK, op. cit., 2010-2011, S. 104f.
[27] An dieser Stelle seien die Ausführenden der Firmen P. Volkmer und E. Grether sowie der Urheber des Gesamtkonzepts H. F. Reichwald, Landesdenkmalamt Baden-Württemberg, genannt.