Eberhard Grether
Restaurator
Zusammenfassung: Durch zahlreiche restauratorische Untersuchungen im Innenraum des Freiburger sowie des Breisacher Münsters konnten Erkenntnisse über die älteren Raumgestaltungen gewonnen werden. Die Ergebnisse werden stetig durch laufende Beobachtungen erweitert. Bisher kann für den Chorraum im Innern des Freiburger Münsters als Erstgestaltung von einem dünn aufgebrachten, hell grau-rötlichen Anstrich ausgegangen werden, der im Sinne einer idealisierten Steinfarbigkeit auf die Steinoberflächen aufgetragen wurde. Fugen und Quaderflächen wurden einheitlich überdeckt. In einem zweiten Arbeitsschritt erfolgte anschließend das Herausfassen der horizontalen und vertikalen Stoß- und Lagerfugen im Sinne eines aufgemalten Fugensystems. Dabei orientierte man sich nicht zwangsläufig an den tatsächlichen Steinfugen, sondern idealisierte dieses System. Der Fugenstrich wurde in einem getönten Weiß gehalten, welches in etwa als Grundfarbe auch auf den Gewölbeflächen nachzuweisen ist. Bei der zweiten Fassung wurde ebenfalls ein Fugensystem mit malerischen Mitteln dargestellt, dessen Farbigkeit jedoch abweicht. Die Farbbefunde reichen von einem kräftigen Rot zu einem rotbräunlichen Ton. Bei der dritten Fassung ist von einem flächig aufgebrachten, einheitlich hellgrau grünlichen Anstrich auszugehen. Im Zuge der Untersuchungen konnten mehrere Fassungen auf dem Stein festgestellt werden. Mit der Abarbeitung der Steinoberflächen im 19. Jahrhundert wurden diese verschiedenen Fassungsaufbauten komplett entfernt und die heute erkennbare Steinsichtigkeit hergestellt. Darüber hinaus wird im Vortrag auch auf Farbkorrespondenzen zwischen Innenraum und Außenbau am Beispiel des Breisacher Münsters eingegangen werden.
Les décorations intérieures de la cathédrale de Fribourg et de Brisach
Résumé : Les multiples analyses réalisées par les restaurateurs à l’intérieur des cathédrales de Fribourg et de Brisach (Vieux-Brisach) ont permis d’acquérir des informations sur les anciennes campagnes de décoration et de nouvelles observations enrichissent constamment les résultats. Jusqu’ici, on pouvait considérer que la première polychromie de l’intérieur de la cathédrale de Fribourg consistait en une fine couche de peinture, d’un gris-rougeâtre, d’une tonalité claire. Cette dernière a été exécutée sur les pierres pour les revêtir d’une coloration idéalisée. Les joints comme les pierres de taille ont été couverts de manière homogène. Des joints horizontaux et verticaux ont ensuite été tracés sur ce fond afin de réaliser un motif de faux appareil. On ne se préoccupait alors pas forcément des joints réels de la maçonnerie, mais de la régularité de ce système. Les joints ont été feints avec un blanc teinté, qui peut également être observé sur les surfaces de la voûte où il est utilisé comme couleur de fond. La deuxième polychromie consiste également en un faux appareil dont les couleurs sont toutefois différentes. Elles vont d’un rouge vif vers un rouge-brun. La troisième polychromie semble être une mise en couleurs posée en aplats, d’un gris clair verdâtre uniforme. Les recherches ont pu déterminer plusieurs couches de polychromies sur la pierre. Les différentes couches de polychromie ont été complètement effacées lors des grattages des surfaces de la pierre au xixe siècle, aboutissant à l’état actuel de la pierre apparente. Cet article attire également l’attention sur les correspondances de couleurs entre l’espace intérieur et le bâti extérieur grâce à l’exemple de la cathédrale de Brisach.
1. Das Stephansmünster in Breisach – Wandmalereibefunde im Innenraum: eine Übersicht
Hoch über der Stadt und weithin sichtbar erhebt sich das St. Stephansmünster auf dem Münsterberg in Breisach. Die Bauteile wie Mittelschiff mit Seitenschiffen, Chor und Westwerk entstammen unterschiedlichen Bauphasen: Das Mittelschiff mit Seitenschiffen und Apsiden gehört zur ältesten Bauphase, die in das 12. Jahrhundert[1] datiert wird. Im 13. Jahrhundert[2] wurde der Bau nach Osten mit dem Chor und der nach außen hin hallenartig offenen Krypta erweitert. In diesen beiden Hauptbauphasen wurden im Wesentlichen die Hauptteile der beiden Türme errichtet. Mit dem Westwerk und dessen Fertigstellung im 15. Jahrhundert[3] erhielt der Kirchenbau schließlich ein weiteres markantes Bauteil.
Bezüglich der Wandgestaltungen lag und liegt das kunsthistorische Interesse auf der bekannten und beeindruckenden Wandmalerei von Martin Schongauer (um 1445-1491) im Westwerk. Eine umfassende Untersuchung zur Klärung der Raumdekorationen der frühen Bauphasen wurde bisher nicht durchgeführt. Erste Einschätzungen ergaben sich aus Voruntersuchungen zur Bearbeitung der Fassade und verschiedener Bereiche des Innenraums in den letzten drei Jahrzehnten, welche im Rahmen einzelner und kurzer Kampagnen durchgeführt wurden. Hierbei konnten Befunde zur Farbgestaltung, Raumdekoration und Wandmalereien erhoben und der Bestand dokumentiert werden.
Die folgenden Ausführungen geben einen Einblick in diesen reichen Befundbestand, ohne Anspruch auf Vollständigkeit zu erheben. Dabei wird der Schwerpunkt auf Architekturmalerei und Raumdekorationen gelegt.
Befunde im Kirchenschiff
Das Kirchenschiff gehört zum ältesten Baubestand des Münsters. Im Bereich der südlichen Obergaden konnten sowohl im Anschluss der Wandrippen als auch im Umfeld des westlichsten Fensters historische Verputze mit Fassungsbestand festgestellt werden[4]. Dort lassen sich gemalte Faschen um die Rundbogenfenster vorfinden. Auf der Wandfläche oberhalb der Fenster lassen sich auf der ersten Schichtebene Reste von Polychromien der frühesten Phase, also der des 12. Jahrhunderts, nachweisen. Es handelt sich hierbei mit allergrößter Wahrscheinlichkeit um Relikte einer romanischen Innenbemalung, bei der Farbtöne in Ockerfarbton und Rot unterschieden werden können. Die punktuellen Sondierungen lassen noch kein Bild über die ehemalige Gestaltungsart zu; jedoch ist eindeutig, dass zur romanischen Phase eine die Architekturglieder begleitende Polychromie den Innenraum geschmückt haben muss.
Befunde im Chor
Deutlich umfangreicher und besser erhalten sind Wandmalereien aus der gotischen Bauphase des 13. Jahrhunderts, in welcher der Chor in der heutigen Form entstanden ist. Als das spätgotische Chorgestühl zwecks Restaurierungsarbeiten von den Wänden abgerückt werden musste, konnten dahinter Bemalungsreste dokumentiert werden[5]. So lässt sich neben der Sakristeitür mit ihrem spitzbogenbegrenzten Türgewände in der Nordwand eine bisher verborgene, mit einem Gewände eingefasste Wandnische nachweisen. Die Außenkontur beider Gewändeverläufe zieren ein Kugelfries sowie ein Blattfries. Dabei wurden Rot, Schwarz und Blau als Farben eingesetzt (Abb. 1). Des Weiteren sind gemalte Kreuzsymbole mit dem in Zirkelschlagtechnik angelegten Einfassungskreisen erhalten geblieben. Eines dieser Kreuzmotive weist zu den Kreislinien radial aufgemalte Linien auf, wodurch Kreissegmente abgeteilt wurden. In diese sind römische Zahlen eingeschrieben. Es könnte sich hierbei um ein Kalendarium handeln. Dieser Bestand befindet sich auf einer weißgelblichen, partiell rötlichen Tüncheschicht, welche als erste Farbschicht auf der flächigen ersten Verputzschicht auf der Nordwand aufgebracht ist (Abb. 2). Daher ist mit allergrößter Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass es sich hierbei um den ältesten Malerei- und Fassungsbestand im Chor handelt. Dieser ist gut erhalten und lediglich partiell mit einer bzw. zwei monochrom weißen Tüncheschichten abgedeckt. Das Chorgestühl schützte dieses Zeitzeugnis zusätzlich, indem es den Zugriff auf diesen Bereich verhinderte.
Im weiter aufgehenden Wandbereich lassen sich Reste einer monumentalen Wandmalerei finden: Es handelt sich um Architekturelemente im Sinne eines gemalten Wimperges mit Krabbenbesatz und einer malerisch dargestellten Kreuzrosette (Abb. 3). Diese illusionistische Architekturmalerei liegt ebenfalls auf einer weißgelblichen, partiell leicht rötlichen Grundtünche; wahrscheinlich auf derselben wie die im unteren Wandbereich nachgewiesenen Malereien. Ob sie zeitlich zusammengehören, oder ob sich auf dieser Grundtünche Malereien aus mehreren Phasen befinden, muss derzeit noch offenbleiben. Der herausragende Befund im oberen Wandbereich zeigt, dass die Wände nicht nur mit einer Grundtünche versehen, sondern großflächig mit einer Scheinarchitekturmalerei mit einer differenzierten Gestaltung angelegt waren. Eventuell stellt dies eine Rahmenbemalung für ein Wandgemälde dar, welches im mittleren Bereich der Wand noch vorhanden sein könnte.
Das Bild, welches heute das Innere des Chores im Münster prägt – nämlich das einer monochromen Fläche – ist in keiner Weise mit der ältesten nachweisbaren Wandgestaltung vergleichbar ist. Damals waren die Wandflächen Malereigrund für eine virtuos ausgeführte, auf Fernwirkung angelegte Architekturmalerei.
Hinzufügung des Westwerks und Vereinheitlichung
Mit der Fertigstellung des Westwerkes mit dem Netzgewölbe und dem Erstellen der großen monumentalen Wandflächen wurde dem Breisacher Münster im späten 15. Jahrhundert[6] ein weiterer entscheidender Bauteil hinzugefügt. Dabei erfuhren die Gewölbe- und Wandrippen sowie der Wandpfeiler eine Erstfassung in hellem Ockergelb mit einer gemalten Quaderung zu getönt weißen Wand- und Gewölbeflächen[7]. Es ist davon auszugehen, dass sich diese Fassung in Weiß und Gelb nicht nur auf das Westwerk beschränkte, sondern die anderen Bereiche des Innern des Münsters vereinheitlichend einbezog. Belege hierfür konnten an mehreren Stellen gefunden werden. Dies ist dahingehend konsequent, dass mit einem derart gewaltigen Baueingriff eine Vereinheitlichung unter Einbeziehung der älteren Bauteile erfolgte.
Mit der Ausführung des großen monumentalen Wandgemäldes von Martin Schongauer um 1488, welches als Triptychon anzusehen ist mit dem Jüngsten Gericht auf der Westwand sowie dem Höllensturz auf der Nord- und der Himmelspforte auf der Südwand, wurde diese Erstfassung zumindest im westlichen Bereich überarbeitet. Dabei wurde die weiße Grundtünche beibehalten und nur die gelb aufgemalten Quaderungen weiß übermalt, um einen einheitlichen Malgrund für die monumentalen Gemälde zu erhalten. Diese Neubemalung lässt sich somit als zweite Fassung im Westwerk einsortieren und ist in das ausgehende 15. Jahrhundert zu datieren. Bei den Freilegungsmaßnahmen Ende des 19. Jahrhunderts und in den 1930er Jahren wurden an den Rändern der Monumentalbilder partiell die darunterliegenden älteren gelben Quader mit freigelegt, sodass sich heute im Westwerk eine Durchmischung der ersten und der zweiten Phase zeigt.
Korrespondierende Außenfassung?
Der Erstfassung des Westwerks mit Gelbgestaltung der Architekturelemente zu kalkweißen Flächen der Wände entspricht mit großer Wahrscheinlichkeit eine Außengestaltung. Bei der Bearbeitung des Außenbaues wurden im Rahmen einer kurzen Befundaufnahme[8] gelbe Farbreste festgestellt, die sich am Westwerk in großer Zahl in Steinvertiefungen erhalten haben. Der Farbwert stimmt optisch sehr genau mit dem im Innern dieser Bauphase überein. Daher kann derzeit als These formuliert werden, dass es eine korrespondierende Außenfassung gab, welche die Steinelemente in einem intensiven Ockergelb zeigte und zu dem die verputzten Flächen – zumindest im Innen- und vielleicht auch im Außenbereich – in einem Kalkweißfarbton farblich abgesetzt waren. Die Klärung dieser spannenden Thematik bedarf weiterer Untersuchungen.
Weitere Phasen und Ausblick
Auf die jüngeren Gestaltungen und Bemalungen im Innern soll an dieser Stelle nicht weiter eingegangen werden; es sei jedoch auf eine umfangreiche neogotische Bemalung im ausgehenden 19. Jahrhundert hingewiesen.
Die jetzt vorgelegten Informationen können nur einen ersten Einblick bzw. Überblick über das darstellen, was bei einer intensiveren Untersuchung im Innern noch zu erwarten ist. Die bisherigen Befunde sind so vielversprechend, dass eine weiterführende Untersuchung absolut wünschenswert wäre.
2. Zur Farbigkeit im Innern des Freiburger Münsters
Im Rahmen des Vortrags wurde die große Fülle der Informationen zu Farbigkeiten im Innern des Freiburger Münsters auf die Präsentation der historischen Fassungsabfolge im spätgotischen Chor beschränkt.
Der 1513[9] geweihte Chor weist eine circa 200-jährige Bauzeit auf. Die Grundsteinlegung im frühen 14. Jahrhundert und mehrere Bauunterbrechungen verzögerten die Fertigstellung dieses gewaltigen Bauteils. Erst mit der Einwölbung und der Chorweihe im frühen 16. Jahrhundert fand diese Baumaßnahme ihren Abschluss.
Die ersten Phasen im Chor
Im Zuge mehrerer Untersuchungskampagnen[10], insbesondere im Bereich des Hochchores sowie des Chorumgangs und der Chorkapellen, wurde ein erster Überblick über die historischen Farbfassungen im Innern gewonnen. So lässt sich feststellen, dass mit Abschluss der Baumaßnahme und der Chorweihe 1513 das Innere der Wandflächen im Chor komplett mit einem hellrötlich-rosafarbenen Anstrich versehen war, auf dem ein in getöntem Weiß gemaltes Fugensystem aufgebracht wurde. Um einen einheitlichen Untergrund zu erzeugen, wurden Vertiefungen, Fehlstellen und Fugen mit einem hellrötlich-rosafarbenen Putzmörtel bzw. Fugenmörtel verschlossen und die Oberfläche egalisiert. Dies war notwendig, denn in der langen, durch Unterbrechungen geprägten Bauzeit stand die Steinoberfläche offen, was Steinabwitterungen bis hin zu cavernenartigen Ausspülungen verursacht haben muss. Auf den so vorbereiteten Untergrund erfolgte der Auftrag des hellrötlichen Anstrichs. Das darauf aufgebrachte Fugensystem orientierte sich nicht am tatsächlichen Fugenbild der Steinquader, sondern war mehr oder weniger knapp daneben positioniert. Dies ermöglichte den Kirchenmalern, auf der ebenen Flächen exakte vertikale und horizontale Fugenlinien zu ziehen. Wären diese im Bereich der tatsächlichen Baufugen angelegt worden, wäre trotz präziser Glättung eine leichte Unebenheit nicht zu vermeiden gewesen. Man tat sich damit einfach leichter.
Als eindeutiger Befund für diese Erstfassung konnte an der Außenwand der Universitätskapelle ein großflächig erhaltenes Farbfragment hinter einem Steinepitaph festgestellt werden (Abb. 4), welches Ende des 20. Jahrhunderts für Restaurierungsarbeiten zeitweise abgenommen werden musste. Die Inschrift erinnert an den Universitätsprofessor Bapst und bezieht sich auf dessen Todesdatum 1564. Da das Epitaph in einem zeitlichen Zusammenhang mit dem Tod und der vermuteten Bestattung im Bereich der Universitätskapelle angebracht worden sein muss, fand die Applikation bereits einige Jahrzehnte nach der Fertigstellung des Chores statt. Der Wandbereich dahinter blieb so von späteren Überarbeitungen unberührt: Wie in einer Zeitkapsel überdauerte hier der älteste Bemalungsbestand der Chorinnenwände.
In welcher Art die Gewölbe zu dieser Erstfassung gestaltet waren, ist leider kaum einzugrenzen. Da in den 1950er-Jahren nach derzeitigem Kenntnisstand alle Gewölbe zwischen den Steinrippen mit einem neuen Verputz versehen wurden, lassen sich nur noch Fragmente in den Ansätzen zur Überprüfung heranziehen. Es ist mit großer Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass die Grundfläche der Gewölbezonen in einem Kalkweiß, ähnlich dem des gemalten Fugenstrichs der Erstfassung auf hellrotem Grund angelegt war. Ob weitere, differenzierte Gestaltungen hinzukamen, muss derzeit leider noch offenbleiben.
Die zweite flächige Bearbeitung präsentiert die Chorwände in einem helleren rotbräunlichen Farbton, der als Anstrich aufgebracht wurde und wiederum ein weißfarbenes Fugensystem zur Gliederung erhielt. Dies lässt sich an mehreren Stellen nachweisen.
Die nach derzeitigem Kenntnisstand insgesamt dritte umfassende Bearbeitung ist mit einem vollflächigen Neuanstrich in einem hellen Grünton verbunden, der in die Zeit des späten 18. Jahrhunderts zu verorten ist. Dieser Farbton lässt sich nicht nur im Chor, sondern im gesamten Innern des Münsters vorfinden; teils liegt er monochrom vor, teils zeigt er ein aufgemaltes Fugensystem. Der Anstrich des kompletten Münsters kann angesichts der Masse und Erreichbarkeit der verschiedenen Zonen nicht in einem Zuge erfolgt sein. Vielmehr ist davon auszugehen, dass die Überarbeitung mit diesem Farbsystem im Innern in einem gewissen Zeitraum durchgeführt wurde, worauf mehrere Datierungen (z. B. 1794 im Bereich der Michaelsempore) und Monogramme der mit diesen Aufgaben betrauten Malern an unterschiedlichen Stellen hindeuten (Abb. 5). Dennoch ist diese Grünfassung, die als Arbeitstitel den Namen „Klassizismusfassung“ erhielt, als eine im gesamten Kircheninnern nachzuweisende Gestaltung zu werten. Ein berühmtes Aquarell des Innern des Münsters von 1825 belegt die Umsetzung an den Wandflächen.
Es soll an dieser Stelle darauf hingewiesen werden, dass zusätzlich zu den oben genannten drei Hauptfassungen Teilbereiche des Chores und insbesondere der Chorkapelle vermutlich weitere, individuelle Fassungen erhielten. Es ist nicht unüblich, dass korrespondierende Fassungen, zum Beispiel von Altären, mit einer Bearbeitung der Raumschale einhergehen. Bei verschiedenen Kapellen konnten Hinweise auf derartige Befunde gewonnen werden.
Dass auf die lebendige Geschichte wechselnder Farbkonzepte nur noch Reste und Spuren verweisen, ist auf eine massive Umgestaltung, beginnend in den 1860er-Jahren[11] zurückzuführen. Man verfolgte damals den Gedanken, im Sinne der Romantik die Steinflächen materialsichtig zu präsentieren. Hierzu wurden die Fassungsschichten an Wände und Gewölben entfernt. An ebenen Zonen ging dies mit einer Überarbeitung der Steinoberfläche mit Steinmetzwerkzeugen einher, sodass die ursprüngliche Herstellungsoberfläche um einige Millimeter zurückgearbeitet wurde (Abb. 6). Damit entstand zulasten der ursprünglichen eine neue Werksspur. Im Bereich der plastischen Elemente wie zum Beispiel profilierte Rippen und Konsolen wurde eine Reduzierung mittels Metallbürsten und Schabwerkzeuge erreicht. Anschließend wurden und Unebenheiten und Konturen malerisch retuschiert, wobei der Steinfarbton der jeweils freiliegenden Steinflächen aufgegriffen wurde. Zudem wurde in diesem Zuge ein idealisierter Fugenstrich aufgebracht, diesmal allerdings im tatsächlichen Fugenbereich. Diese Maßnahme muss sich über einen Zeitraum von zwei Jahrzehnten oder länger gezogen haben, sodass das Innere des Münsters zumindest teilweise eine Baustelle war. Sicherlich verursachte diese Maßnahme mit den damaligen Möglichkeiten einen extremen Schmutzeintrag. Diese Überarbeitung des Bestandes ist als eine Maßnahme der sogenannten neogotischen Bearbeitungsphase zu werten, die mit einer Umgestaltung der Ausstattungselemente im Innern verbunden war. Gotische bzw. hochgotische Altarelemente wurden überarbeitet und zum Teil neu konzeptioniert. Mehrere neogotische Altäre ersetzten ältere Bestände, vor allem des 18. Jahrhunderts.
Somit sieht der Betrachter heute im Innern des Freiburger Münsters nicht mehr die ursprüngliche Raumgestaltung, die mit Abschluss der damaligen Baumaßnahmen im frühen 16. Jahrhundert angelegt wurde, sondern die Interpretation eines gotischen Baukörpers, geprägt aus dem neogotischen Blickwinkel des 19. Jahrhunderts.
[1] Georg DEHIO, Handbuch der deutschen Kunstdenkmäler, Baden-Württemberg, II, Berlin, Deutscher Kunstverlag, 1997, S. 116-120.
[2] Ibidem.
[3] Ibid.
[4] Eberhard GRETHER, Breisach, Stephansmünster, Innenraum. Bericht zur restauratorischen Voruntersuchung, Juni 1995; vorliegend im Archiv des Erzbischöfliches Bauamtes, im LAD in Freiburg und im Archiv des Autors.
[5] Eberhard GRETHER, Breisach, Stephansmünster, Innenraum. Bericht zur restauratorischen Voruntersuchung, November 1996 und April 1997; vorliegend im Archiv des Erzbischöfliches Bauamtes, im LAD in Freiburg und im Archiv des Autors.
[6] DEHIO, op. cit., 1997, S. 116-120.
[7] Eberhard GRETHER, Breisach, Stephansmünster, Innenraum. Bericht zur restauratorischen Voruntersuchung, März 1995; vorliegend im Archiv des Erzbischöfliches Bauamtes, im LAD in Freiburg und im Archiv des Autors.
[8] Eberhard GRETHER, Breisach, Stephansmünster, Innenraum. Bericht zur restauratorischen Voruntersuchung, Juli 2009; vorliegend im Archiv des Erzbischöfliches Bauamtes, im LAD in Freiburg und im Archiv des Autors.
[9] DEHIO, op. cit., 1997, S. 200-201.
[10] Eberhard GRETHER, Freiburg, Münster ULF, Berichte zur restauratorischen Voruntersuchung, September 2006 bis Juni 2010; vorliegend im Archiv des Erzbischöfliches Bauamtes, im LAD in Freiburg und im Archiv des Autors.
[11] DEHIO, op. cit., 1997, S. 200-201.